Wenn ich meine Grosseltern am Telefon frage, wie es ihnen geht, bekomme ich inzwischen nur noch zur Antwort: "Ach, wir wollen nicht klagen. Besser wird es wohl nicht mehr." Es sind die kleinen Gebrechen, die den Alltag mehr und mehr einschränken und die einfachsten Dinge plötzlich kompliziert erscheinen lassen.
Meine andere Oma liegt seit über einer Woche im Krankenhaus: fehlende Verdauung, Untersuchung, festgestellter Leistenbruch, Operation, und nun muss sie sich erholen. Sie wird im April 89, hat einen klaren Kopf und einen kleinen, zerbrechlich wirkenden Körper. Jedenfalls bis zur Operation.
Ein paar Tage danach das Phänomen: Sie weiss nicht, ob sie zu Hause oder im Krankenhaus ist, erkennt alte Bekannte nicht, hat scheinbar keine Erinnerung daran, dass sie seit über 20 Jahren nicht mehr in der Hühlstrasse, sondern in der Roncallistrasse wohnt. Das alles aus heiterem Himmel. Laut Arzt kein wirklicher Grund zur Sorge, das passiere bei älteren Patienten oft nach einer OP. Dennoch -- plötzlich ist sie ein Pflegefall, der nicht gepflegt werden will. Nie wollte sie ihr Haus verlassen. Zu meinen Eltern zu ziehen oder zumindest in deren nähere Umgebung stand nie zur Debatte. Wie wird sie es also verkraften, wenn sie Anfang nächster Woche in die Kurzzeitpflege kommt?
Als einzige Tochter liegt alle Last (und alles Leid) auf den Schultern meiner Mutter. Das ist nicht einfach. Keiner weiss, ob meine Oma in absehbarer Zeit nach Hause zurückkehren kann. In dieses grosse Hause in der Roncallistrasse mit den vielen leeren Zimmern.
In solchen Zeiten ist es schwer, tausende von Kilometern entfernt zu sein und kaum etwas tun zu können. Nur zuhören. Vielleicht Rat geben. Und nachsinnen über das Leben.
Stufen
Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf' um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden...
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!
-- Hermann Hesse, 4.5.1941 --
(geklaut bei der Gemeinschaft der Morgenlandfahrer)
1 Kommentar:
B"H
Es gibt viele junge Leute, bei denen man denkt, dass sie alt sind und aeltere Leute, die das gegenteil sind.
Man ist immer so alt wie man sich fuehlt und ich zerbreche mir darueber nicht den Kopf.:-) Hilft eh nicht.
Miriam
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